Betrachtungen

Die Bilder von David Kandalkar leben von Gegensätzen. Aus dem rektangulären Prinzip entwickelte geometrische Elemente stossen auf präzise, dynamisch runde, informelle Schwingungsbänder, die für den Betrachter wie gespannte Stahlfeder wirken. Präzises wird Diffusem gegenübergestellt, so gibt es Partien – Linien- oder Quadratraster, dominierende gleichstarke Diagonalen – die mit der Spritzpistole «gemalt» sind, während andere – insbesondere die Hintergründe in offenen Farbverläufen festgehalten werden. Die Dialektik von Starrheit und Bewegung dominiert das Bildgeschehen, dem geordnet Gerichteten wird geordnet Ungerichtetes entgegengesetzt. Oftmals auch sind seine Bilder als Dyptichen oder Tryptichen angelegt und beinhalten einen zeitlichen Ablauf des Bildgeschehens; die Federn sind mehr oder weniger zusammengedrückt, gleiche Bildelemente erscheinen an verschiedenen Orten, als wären sie «stills» aus einem Film.

Der Raum selbst ist ein offener, oder besser: ein nicht bestimmbarer. Zu plastisch wirkt er, was auf den Bildhauer David Kandalkar schliessen lässt, denn die Einflüsse seines dreidimensionalen Gestaltens wirken auch auf das Schaffen auf der Fläche. So kann ein friesartiges, abgewinkeltes Gebilde, das in sich rechteckig angelegt ist, und dessen zwei Teile an einer bestimmten Stelle zusammenstossen, einen Raum hervorrufen, bei dem der Betrachter nicht mehr hinten und vorne unterscheiden kann. Dies wird unterstützt durch die schon erwähnten Schwingungsbänder, die früher aus der Waagrechten entwickelt worden sind, heute, in seinen letzten Bildern, diagonal schräg gehalten sind. Entsprechen sich in den geometrischen Elementen und im diffusen Hintergrund die kräftigen Farben, so erscheinen sie in den Bändern hell, apak, pastos. Und um die gesamte Wirkung noch rätselhafter zu machen, so sind die «Stahlfedern» meistens vor einer Fläche, einer Art Vorhand, platziert, bei der der Ort im Raum kaum mehr rational zu erfahren ist. Eine gestaffelte Räumlichkeit wird bildbestimmend, Bewegung im Raum wird suggeriert.

David Kandalkars Werke aber sind nicht kompliziert, nicht verwirrend – sie wirken nur auf den ersten Blick so. Und je länger sie betrachtet werden, desto mehr tritt eine eindeutige Klarheit im Bildaufbau zu Tage. Das geht nicht zuletzt aus seiner Schaffensweise hervor. Er macht keine Skizzen, sondern legt sich die Komposition im Kopf zurecht, die Bildanlage ist vorbestimmt und wird während der Realisation nicht oder kaum mehr verändert. Es ist sein Anliegen – ohne thematisch direkt darauf einzugehen – Fragenkomplexe wie Krieg und Frieden oder die Umweltproblematik in Bildideen umzusetzen. Dabei beschäftigen ihn aber auch philosophische Gedanken wie die von positiver und negativer Energie. Deshalb überrascht es auch nicht, dass er an mehreren Werken, denen er keine Titel gibt, gleichzeitig arbeitet. Denn er ist der Meinung, dass bei einer Reaktion des Betrachters auf ein Werk dieses einer gelungenen Arbeit entspricht.

Seine Farben, er hat eine Vorliebe für grüne, blaue und schwarze Nuancen, trägt er in verschiedenen Techniken auf. Generell sind die geometrischen Elemente, also die Linien- und Quadratraster, aber auch die Diagonalen mit der Spritzpistole geschaffen, die Hintergründe oder die Flächen mit dem Pinsel oder dem Farbroller. Diese Bildpartien wirken auf den ersten Blick wie monochrom, jedoch sind verschiedene Farbtöne zu bemerken, je länger der Betrachter sich auf diese Teile konzentriert. Farbverläufe entstehen durch die Technik des Überlagerns verschiedener durchscheinender Farblagen. So liegen bei einzelnen Werken nur wenige, bei anderen aber relativ viele Schichten übereinander. Weiter «öffnet» er die einzelnen Farbflächen, indem er diesen einen punkartigen Raster überlegt, der einen wolkenartigen Charakter erzeugt, oder Mischungen von Hellblau und Hellgraugrün ergeben z.B. ein kräftiges Grüngeflecht. Das alles verstärkt den nichtsymmetrischen Bildaufbau, denn wie es der aus Indien stammende, in Israel ausgebildete und in England und der Schweiz arbeitende David Kandalkar ausdrückt und sich dabei auf seinen Lehrer Marcel Janco bezieht, «gehört kein Objekt in die Bildmitte». Den strengen Formaufbau hat er in der letzten Zeit etwas gebrochen: aus den gleichartigen Diagonalen sind Zick-Zack-Linien geworden, die Schwingungsbänder sind zum Teil nicht mehr links-rechts gerichtet, sondern entspringen einem Nukleus und winden sich, vegetabilähnlichen Formen oder blütenartig nach oben. An den Rand gerückte kalligraphische Zeichen bilden ein Gegengewicht zu der jetzt dominierenden Horizontale.

Wo ist das Werk von David Kandalkar einzuordnen? Für die einen ist es zu wenig geometrisch, für die anderen zu wenig informell. Dem steht aber entgegen, dass er – den philosophischen Einflüssen des Ostens wie den kunstgeschichtlichen des Westens zum Trotz – eine künstlerische Symbiose erzielt hat, die für sich spricht. «Nur offene Geheimnisse sind wirkungsvoll» – der Betrachter ist eingeladen, sich auf eine Entdeckungsreise zu begehen.

John Matheson