Skulpturen

sculpture3Die Holzskulpturen von David Kandalkar entspringen dem gleichen Impetus wie seine Bilder. Sie sind auf Spannungsbögen aufgebaut, die sich gegenseitig treffen, kreuzen oder gar ineinander übergehen. Sie können aber auch durch Kerben in Ihrem Verlauf gestoppt sein, um plötzlich ihre Richtung zu ändern und einen anderen, nicht vorgesehenen Verlauf zu nehmen. Wirken die Skulpturen meist ruhig und ausgewogen, so gibt es aber auch solche, die in Details oder Gesamterscheinung latent aggressiv scheinen. Sägezahnähnliche Strukturen und scharfe Grate verleihen ihnen etwas Bedrohliches und Gefährliches, das den Betrachter einen bestimmten Sicherheitsabstand wahren lässt, während die «ruhigen» Skulpturen ihn geradezu zum Fühlen der Oberfläche auffordern. Für David Kandalkar ist die «Haut» des Holzes von höchster Bedeutung. Er möchte dem Holz Leben zurückgeben, so wie er einmal sagte: «Holz, einst Teil eines lebenden Baumes, ist tot. Trotzdem pulsiert es in einer Skulptur mit einer eigenen Lebenskraft».

Hier muss man sich David Kandalkars Lebensweg zuwenden, denn seine früheren Aktivitäten gehen in eins mit seiner heutigen Arbeit als freischaffender Künstler. In Indien geboren, wanderte er zusammen mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder nach Israel aus. Ihre Eltern konnten ihnen erst einige Jahre später folgen. David besuchte eine Landwirtschaftsschule, an der er eine besondere Förderung genoss, denn der damalige Direktor der Schule achtete auch auf die musischen Eigenschaften seiner Schüler. Auf dessen Empfehlung hin durfte David seine «Malerei» Marcel Janco, einem der Dadaisten der ersten Stunde, zeigen, der vom Talent des damals Fünfzehnjährigen überzeugt war und ihn sofort zu einer eigentlich für viel ältere Studenten vorgesehenen Sommerakademie einlud. Kontinuierlich beobachtete er Davids Werk während der nächsten Jahre, munterte ihn auf, sparte aber auch nicht mit Kritik. Zur selben Zeit gaben, unter der Leitung der Frau des Direktors, die Schüler der Landwirtschaftsschule Theateraufführungen; sie spielten mehr oder weniger das gesamte Repertoire des klassischen Theaters durch. So begann Kandalkar, nach seinem Militärdienst, als Schauspieler und Bühnenbildner an verschiedenen Theatern in Israel zu arbeiten, bis er sich entschloss, sich als Autodidakt ausschliesslich der Malerei und Skulptur zu widmen und ein weiteres Mal zu emigrieren, diesmal nach London.

sculpture2Von seinen Erfahrungen an der Bühne profitiert er in dieser weiteren Laufbahn: Denn eine Rolle zu übernehmen und ihren Charakter darzustellen, bedeutet, ihre innere und äussere Struktur zu fühlen und zu verstehen, ebenso wie die Materiealien, mit denen er nun schafft, in ganz ähnlicher Weise danach verlangen, dass er ihre verschiedenen Aspekte erkundet und kennt. Es ist wiederum eine Frage der Aufmerksamkeit und Präzision. Äste und Verwachsungen in einem Holzblock zum Beispiel müssen aufgespürt und bei der Formgebung umgangen oder vermieden werden, oder sie sind in langwieriger Arbeit mühevoll zu schleifen und zu polieren, bis sie nicht mehr sichtbar sind.

Last und Leichtigkeit, von oben zusammengepresste Partien, seitlich in den freien Raum hinausschwingende oder hoch oben um Balance ringende Elemente kennzeichnen seine Arbeit. Tiefe Einschnürungen verweisen bisweilen auf eine beinahe rohe Kraft des schöpferischen Prozesses. Denn er behandelt seinen Werkstoff gleichermassen mit Wucht und gewaltsamer Kraft wie mit Liebe zum Material, ganz gleich, ob es heimisches Birnenholz oder exotisches Mahagoni ist. Die genannten Charakteristika verraten zugleich ein inneres, beinahe anthropologisches Prinzip organischen, vegetativen Wachstums. Diese Vorstellung natürlicher Entfaltung ist ganz allgemein in seinen Holzskulpturen präsent.

metallJedoch gibt es auch andere Skulpturen aus Metall. Obwohl sie auf den ersten Blick, gleich denen aus Holz, Aspekte von Lasten und Leichtigkeit vorzuführen scheinen, ist ihre Komposition, die auf mathematischen und geometrischen Elementen basiert, von jenen doch sehr verschieden. Ein Teil scheint hier wie aus dem anderen herausgebrochen, einer aufwärtsstrebenden Geraden ist ein Kreis gegenübergestellt, ein Dreieck in Triangelform führt die Diagonalbewegung im Raum ein. Entgegen dem eher dialogischen Arbeitsprozess in den Holzskulpturen, bei dem der Künstler auf im Material angelegte Formvorschläge zu lauschen scheint, ist die Arbeit im Metall bestimmt von kraftvoll und präzise gesetzten Willen des Künstlers, die Formen und ihre Kombination zu definieren und sie dem Material gleichsam aufzuzwingen. Holz wird behutsam behandelt; die wenigen Möglichkeiten, Teile untereinander fix zu verbinden, werden sorgsam beachtet. Es kann nur geschraubt, geleimt, oder mit Holzdübeln verbunden werden. Die Mehrteiligkeit wird nicht verborgen, sondern, im Gegenteil, durch die Maserung des Holzes unterstrichen, die in jedem Einzelelement in eine andere Richtung verläuft. Anders wiederum das Metall. David Kandalkar liebt dessen Flexibilität und die Bandbreite der Formungsprozesse, denen es unterworfen werden kann. Es lässt sich hämmern und treiben, man kann es giessen, schmieden und schweissen. Vor allem schätzt er das nahtlose Verschweissen, wodurch die Einzelteile in der Gesamtform aufgehen. Beide – das kaum biegsame, spröde Holz wie das hoch flexible Metall, das verschiedene Aggregatzustände annehmen kann, bearbeitet er ihrem Charakter entsprechend. Das eine erfordert Vorsicht, das andere erträgt ohne weiteres gewaltige Kräfte. David Kandalkar hat nicht nur gelernt, diese Unterschiede zu meistern, sondern er hat auch deren Polarität erkannt und sie als einen zentralen Aspekt in seine künstlerische Arbeit eingegliedert. Sein ganzes skulpturales Werk, das sich unbeeinflusst von Strömungen oder Stilen zeigt, bezeugt so mehr als nur ein Suchen, sondern das Finden einer eigenständigen und sehr persönlichen Ausdrucksform.

John Matheson